
Bewegungsmethoden orientiert an daoistischer Philosophie sind von ihrer Anlage her nicht einfach individualistische, isoliert ichbezogene Freizeitaktivitäten zur Steigerung der eigenen Vitalität.
Das Universum, die Natur und unser Eingebundensein sind zentrale Themen im Laozi (Lao-tzu = Daodejing = Tao Te King, Kapitel 25). Wir sind ein Teil des Ganzen, ein Teil eines gemeinsamen „Körpers“. Und wir verletzen deshalb auch uns selbst, wenn wir mit unserer Umwelt unachtsam umgehen. Vielfach verhalten wir uns jedoch so, als ob wir außerhalb oder über der Natur stehen würden. Unser Gedächtnis und unsere Wahrnehmung scheinen beeinträchtigt zu sein. Dem beständigen Erinnern an die Zugehörigkeit zu diesem großen „Körper“ durch die kontinuierliche Rückanbindung an diese nicht zu verleugnende bestehende Einheit und einer Weitung des Wahrnehmungsspektrums kommt im Laozi deshalb große Bedeutung zu, vor allem auch in der eigenen täglichen Praxis. Im Hinblick auf Menschen des Einklangs (聖人 shengren) ist im Laozi die Rede von 抱一 baoyi, dem Umfassen des Einsseins (Kapitel 22) und dem Wirken in die Gesellschaft hinein.
Das Wissen um diese Einheit steckt ja tief in uns drin. Wir können also als einzelne Person und kollektiv die Erinnerung daran in uns selbst wachrufen, unser Gedächtnis diesbezüglich reaktivieren. Diese Erinnerung liegt in unserem Wesen, in unseren Genen, in unseren Instinkten und unserer Intuition. Deshalb spielt der Begriff 自然 ziran, das, was einem natürlicherweise bereits innewohnt, eine so entscheidende Rolle im Laozi (Kapitel 25). Den Zugang zu einer derartig komplexen Vernetzung kann man allerdings nicht alleine über den Intellekt, die menschliche Sprache und das Denken erlangen. Dies spiegelt sich im Laozi in der kritischen Haltung gegenüber einer einseitigen Erhöhung intellektueller Fähigkeiten, zivilisatorischen Wissens, denkerischer und sprachlicher Möglichkeiten wider.
Wissen bleibt jedoch nicht lebendig, wenn die Erinnerung daran nicht permanent gepflegt wird. Und kein Wissen ist wirklich Wissen, wenn es nicht tatsächlich praktiziert wird. Aus diesem Grund beginnt alles, wie in Kapitel 54 des Laozi beschrieben, zunächst in der eigenen körperlichen Existenz und weitet sich dann auf weitere soziale Kontexte aus. Als profunde Zugangsmöglichkeiten werden in diesem Zusammenhang im Laozi meditative Praktiken und Bewegungsmethoden (z. B. 動靜 dong jing, Kapitel 15, 虛靜 xu jing, Kapitel 16) angedeutet.
Die individuell tief im Innern wahrgenommene Einheit bildet dann im Kollektiv eine solide Basis für nachhaltiges Agieren in der Welt (Kapitel 54, 57, 80). Dies ist meines Erachtens eine zentrale Botschaft im Laozi. In demokratischen Bildungsprozessen und für uns in der heutigen Zeit ist es ein wichtiger Wegweiser für nachhaltige Wege in die Zukunft.