
Kein Zentrum und keine zentrale Kontrolle
Wenn man sich anschaut, wie das 道德經 Daodejing an das Konzept von 天地人 “das Universum, die Erde, die Menschen”, das ich in meinem letzten Blogbeitrag diskutiert habe, herangeht, ist es offensichtlich, dass ein Fokus auf ein Zentrum und auf zentrale Kontrolle in einer Welt endloser Netzwerke unnötige Ungleichgewichte, Risiken und Probleme hervorbringt. Für eine Bewegungspraxis, die am 道德經 Daodejing orientiert ist, bedeutet dies, dass man stattdessen eine diversifizierte Praxis mit einer großen Bandbreite an Inputs hat, die Prozesse strukturieren. Ein energetischer Knotenpunkt wie das 下丹田 untere Dantian beispielsweise ist deshalb lediglich ein energetischer Knotenpunkt unter vielen, vielen anderen. Wenn man eine Bewegung initiiert, liegt der Fokus auf dem Verbinden, nicht darauf, wo die Bewegung beginnt. Es gibt auch keinen zentralisierten Prozess.
Zu Anfang arbeitet man mit Regionen wie den Füßen, dem Becken, den Schultern, den Händen und dem Kopf. Diese richten sich darauf aus, ihre Verbindungen und ihre Zusammenarbeit zu verbessern, was stetig tiefergehende Wirkungen auf das Muskel-Skelett-System und das Funktionieren der inneren Organe hat. Für das gute Funktionieren dieser körperlichen Koordinationsprozesse spielt auch der Energieinput durch die Nahrungsaufnahme eine wichtige Rolle. In einer tiefgründigen Bewegungspraxis ist dieser Prozess der Gesamtkörperkoordination dann wiederum koordiniert mit der entsprechenden Aktivität des Ausbalancierens des emotionalen Selbst und des geistigen Reifungsprozesses. All dies geschieht nicht in einem linearen Befehls- und Kontrollmodus. Die richtungsweisenden Prinzipien sind hier die Konzepte der 然, ziran “Selbstorganisation” und des 無爲, wuwei Nicht-handelns. Es gibt keinen zentralen lenkenden Kopf hinter all dem. Und unser Sein operiert nicht allein im bewussten Rahmen des Taglebens. Es operiert ebenfalls im unterbewussten Rahmen der Schlafphasen in der Nacht. Und selbst im bewussten Rahmen des Taglebens gibt es eine gehörige Portion unbewusster Aktivitäten. Autonome Funktionen, Instinkte, Intuition sind alle Teile des „Ich“, des „Wir“. Unsere Ebenen individuellen Seins, unsere „inneren Landschaften“, sind komplex miteinander verwoben – nebeneinander existierende und miteinander verbundene Netzwerke, aber auch kleinere innerhalb von größeren Netzwerken.
In einer tiefgründigen Bewegungspraxis verbessern diese komplexen „individuellen“ Netzwerke deshalb ihr Zusammenspiel und ihre Koordination mit der tragenden 地 Erde und dem umgebenden 天 Universum. Die Füße spielen hierbei natürlicherweise eine wichtige Rolle, da sie den engsten Kontakt zur 地 Erde haben. Der Kopf als der gegenüberliegende Pol spielt natürlicherweise eine wichtige Rolle im – metaphorisch gesprochen – nach außen Öffnen zum 天 Universum. In einfachen Worten geht es um die nachhaltige Interaktion zwischen raus und rein, zwischen innen und außen.
Aber wo beginnt nun eine Bewegung? Das kommt darauf an. Ist es ein einfacher Prozess? Ja und nein. „Man“ sucht nach einem Weg mit einem Teil und die Erfahrung damit bietet anderen Teilen im Netzwerk Orientierung.