Kreuzschmerzen nach dem Nei-kung Üben

Gestern bin ich gefragt worden, was man macht, wenn man nach dem Üben der Yin-Yang-Methode Nacken- und Kreuzschmerzen hat. Eigentlich ist es so, dass man durch die Praxis der Yin-Yang-Methode Verspannungen im Nacken-/Schulterbereich Stück für Stück löst und den kompletten Wirbelsäulenraum wieder beweglicher macht. Dies sollte komplett schmerzfrei geschehen. Schmerzen deuten hier daraufhin, dass man die Yin-Yang-Bewegungen ohne das notwendige Feingefühl gemacht hat. Worauf sollte man also achten, damit man nicht genau das Gegenteil dessen bewirkt, was man erreichen möchte?

Regel Nummer 1 ist, dass man jegliche Drehung der Wirbelsäule, jegliches nach hinten Beugen nur so macht, dass es bereits im Moment des Tuns eine angenehm befreiende Wirkung hat. Eine daoistische Praxis muss bereits im Moment der Ausführung ein kleines Stück des Zieles beinhalten, ein größeres, weiteres Ziel in Miniatur darstellen. In der daoistischen Weltsicht räumt man Hindernisse nicht mit Gewalt aus dem Weg oder „vernichtet“ sie. Passendere Bilder sind die des natürlichen Wegschmelzens bzw. eines sich von alleine Auflösens. Der Fokus liegt immer auf der Entfaltung von Potenzial. (Körperlichen) Einschränkungen in bestimmten Bereichen wird begegnet, indem primär den parallel vorhandenen Fähigkeiten/Kapazitäten/Kompetenzen mehr Raum zur Entfaltung und Ausdehnung gewährt wird.

Hierbei spielt es keine große Rolle, ob die Bewegung „ideal“ ausgeführt wird oder genauso gut oder sogar besser als bei meinem Nachbarn aussieht. Es geht nicht um den Vergleich nach außen. Oberstes Gebot für mich selbst ist, dass Bewegungen ein kleines bisschen mehr Lebendigkeit in meinen Körper und mein ganzes Wesen bringen als noch soeben.
Worauf beruft sich eine solche Herangehensweise? Welches Gedankengut liegt dieser Herangehensweise zugrunde?

Innerhalb der daoistischen Bewegungstraditionen ist das Konzept des Ziran (自然) für die eigene Praxis ein wichtiger Maßstab zur Orientierung. Wörtlich bedeutet Ziran „von sich aus so (sein, wie es ist)“. Ganz eng hiermit verbunden ist das daoistische Konzept des Nicht-Handelns (無為), das ja auch nicht bedeutet, dass man nichts tut, sondern sich gewissermaßen genau „parallel“ zum Potenzial bewegt. Dahinter steckt, dass man zulässt, dass das einem Prozess, einer Sache innewohnende Potenzial möglichst frei zur Geltung kommen kann, dieses erspürt und unterstützt wird. Man versucht in keinem Fall, ein Ergebnis manipulativ oder mit Zwang herbeizuführen.

Für die eigene Bewegungspraxis bedeutet dies, dass man eine Übung/Bewegung gegebenenfalls so weit reduziert oder adaptiert, dass sie den gegenwärtigen Fähigkeiten und Möglichkeiten optimal entspricht. Gemäß daoistischer Philosophie ist deshalb die äußere Form weitaus weniger wichtig, als die Realisierung der Ideen, die durch die Form transportiert werden und zum Ausdruck gebracht werden sollen.