Nei-kung – ein tiefer Weg des Transformierens

Nei-kung 內功 – ein tiefer Weg des Transformierens

In einem meiner früheren Blogbeiträge habe ich bereits erläutert, warum ich aufgehört habe, den Begriff 氣功 Qigong für die Beschreibung meiner Arbeit mit Bewegung herzunehmen, und nun stattdessen den Begriff 內功 Nei-kung verwende, den ich in meiner Zeit in Taiwan in den 1980er Jahren kennengelernt habe, als ich dort Hochchinesisch, Wing Chun und andere Dinge gelernt habe. In dem gerade erwähnten Blogbeitrag wollte ich zeigen, dass es sich bei meinem Wechsel von einem zu einem anderen Begriff definitiv um keine sprachliche Spitzfindigkeit meinerseits handelt.

Was bedeutet der Begriff Nei-kung eigentlich? Worauf bezieht er sich? Nei-kung bedeutet wörtlich innere Errungenschaften oder Praktiken. Der Begriff bezieht sich auf Praktiken, die – neben anderen Effekten – die Körperfunktionen durch eine feinfühlige Arbeit von innen heraus verbessern und dies zugleich – gemäß der Auslegung, der ich folge – einhergehend mit einer Kultivierung der Persönlichkeit tun, also dem Prozess einer kontinuierlichen konstruktiven Persönlichkeitsbildung.

In den chinesischen Kampfkünsten wird Nei-kung oft aus recht utilitaristischen Gründen praktiziert ohne viel Idealismus im Hintergrund, „einfach“, um ganz pragmatisch, aber sehr klug und effektiv die eigenen Fähigkeiten auf hohem Niveau zu steigern. Doch dies muss auch in den Kampfkünsten nicht notwendigerweise auf idealismusfreie Weise geschehen. Wie ich ebenfalls in einem meiner früheren Blogbeiträge erwähne, gilt Gleiches auch für eine lange Reihe von Nei-kung-Praktiken in einigen der esoterischen Schulen des organisierten Daoismus 道教, die danach streben, außergewöhnliche Fertigkeiten zu erlangen. Dies sind alles Ego-Fallen. Deshalb bin ich auch daran nicht interessiert.

Der Teil der Kampfkünste, der einen tiefgreifenden Einfluss auf mich als Teenager ausgeübt hat, war das Ideal, an den eigenen körperlichen Fertigkeiten zu feilen, während man sich gleichzeitig als Mensch weiterentwickelt und reift. Ich erwähnte die Shaolin-Mönche als ein Beispiel. Als Teenager mag in meinem Kopf auch ein bisschen vom europäischen Ritterideal mitgeschwungen haben. Doch ganz gleich, wie sehr ich das alles im Teenageralter in einem völlig unrealistischen romantisierenden Licht gesehen haben mag, die Idee, des vernetzten, ja völlig untrennbaren Entfaltens von Körper und Geist auf eine konstruktive Weise war immer eine Idee, die es wert ist, erkundet zu werden – und ich habe nie aufgehört, das zu tun.

Daoistisches und buddhistisches Nei-kung waren von Anfang an feste Bestandteile der jeweiligen spirituellen Pfade von Daoisten und Buddhisten. Und diese Einheit von intellektueller, psychischer und körperlicher Kultivierung prägt mein Denken bis zum heutigen Tag sehr stark. Meine eigene Praxis und mein Unterrichten sind schon früh markant von der ersten Schrift daoistischer Traditionen, dem 老子 Laozi oder 道德經 Daodejing – einem unglaublich weltoffenen, konstruktiven und weisen Text, beeinflusst worden.

Die heilenden Kräfte des Nei-kung sind vielfältig. Indem man dem Körper ermöglicht, sich agiler und mit weniger Anspannung und Verspannung zu bewegen, reduziert man unnötige Reizungen der Nerven, überflüssige Belastungen der Gelenke und nimmt Druck von den inneren Organen. Wenn die inneren Organe ihre Arbeit unbeeinträchtigter erledigen können, hat dies einen positiven Effekt auf den Stoffwechsel und den Hormonhaushalt, unser Geist ist wacher und energiegeladener und unsere Stimmungen sind stabiler: ein unglaubliches Geflecht sich gegenseitig stärkender Kreisläufe.

Bewegungsimpulse fließen ungehindert durch den Körper oder sie werden unterbrochen und behindert. Wir beobachten, interagieren und lernen. Wir lassen uns auch anregen von dem, was wir in den Pflanzenwelten, Tierwelten und den Welten „unbelebter“ Materie beobachten. Diese Informationen nähren wiederum unsere Auseinandersetzung mit Bewegungsimpulsen. Die Weisen, wie man diese Welten (und ihre Sprachen) wahrnimmt und beschreibt, nährt unseren Umgang mit Bewegungsdynamiken in unserer Bewegungspraxis und umgekehrt. Was ich möchte, ist, meine Horizonte zu erweitern – und dies möchte ich gewiss nicht auf die Ebenen des Bewusstseins beschränken. Das Beobachten dessen, was in uns geschieht, kann man vergleichen mit einem positiven Lernen in der Schule. Da gibt es einen diversen Lehrkörper mit kompetenten Lehrern und Lehrerinnen, die eine Vielzahl unterschiedlicher Arten von Fächern unterrichten. Solch eine inklusive Weise, Nei-kung zu praktizieren, kann man im Grunde genommen als eine Art Übersetzungspraxis betrachten. Man lernt, unterschiedliche Sprachsysteme besser zu verstehen und zu übersetzen. Aus der Perspektive des Daodejing interagiert man mit diesen Informationsflüssen auf zahlreichen Ebenen am besten auf nicht-autokratische Weise. „Wir“ – wer immer das auch sein mag – lassen uns nicht allein leiten von dem, was wir wissen oder glauben zu wissen. Wir geben uns Mühe, den Fallen der Zuschreibungen und Beschreibungen der eigenen Identität so weit wie möglich zu entkommen (無我、心齋). Wir bewegen uns zwischen bewusster Mühe, unterbewussten und unbewussten Prozessen. Wir fokussieren uns “einfach” auf das Schaffen sich gegenseitig stärkender vernetzter konstruktiver Bewegungs- und Informationsflüsse.